Elgar Fleisch, Christoph Franz, Andreas Herrmann, Annette Mönninghoff

Die digitale Pille
Eine Reise in die Zukunft unseres Gesundheitssystems

Erschienen im Campus Verlag, Frankfurt am Main 2021

„Dank der modernen Medizin werden wir immer älter“, so beginnt das Werbevideo des Campus Verlags auf YouTube, und damit ist schon eines der zentralen Probleme dargestellt, welches das spannende Buch: „Die digitale Pille“ gerne gelöst sähe. Denn: Unsere Gesundheitssysteme verändern sich, und das müssen sie auch. Bedeutende medizinische Fortschritte ermöglichen immer mehr Menschen auf der Welt, länger zu leben, und nicht zuletzt aus diesem Grund leidet auch ein zunehmender Anteil der Weltbevölkerung an chronischen Krankheiten. Dies liegt zu Teilen an einer unvorteilhaften Ernährung, zu Teilen an einem ungesunden Lebensstil, und nicht zuletzt schlicht an dem Umstand, dass Menschen ihre potentiellen chronischen Alterskrankheiten dank einer leistungsfähigen Medizin erleben. Der daraus resultierende Behandlungsbedarf belaste, hier wird das Buch deutlich, die Krankenkassen und erhöhe den Druck, Einsparungspotentiale zu realisieren. Die Autoren sprechen gar von einer möglichen „Überlastung“.

Als Mittel zur Lösung erscheint hier natürlich, wir haben es erwartet: Die Digitalisierung. Und hier liefern die Autoren eine hervorragende Gesamtschau aktueller Informationen zu Ansätzen und Trends.

Eine entscheidende These dabei: Treibe man diese im Gesundheitswesen mit Nachdruck voran, könnte man eine Win-Win-Situation schaffen. Zum einen könne man den steigenden Kosten im System Abhilfe durch Einsparungen schaffen, zum anderen könne man Patienten besser versorgen. Somit könne die Medizin könne durch die Digitalisierung „besser“, „menschlicher“, und auch „günstiger“ werden, nehmen die Autoren an.
Eine steile These, die der Rezensent jedoch mitträgt: Erfolgreiche Konzepte der Digitalisierung, welche ich ich als Berater ambulanter Pflegedienste und stationärer Pflegeeinrichtungen kennenlernen durfte, machen Hoffnung. Das bestätigen zahlreiche Menschen „aus der Praxis“. Denn es ist nicht nur das recht dystopische Bild des „Pflegeroboters“, welches wir zum Beispiel in Catrin Misselhorns Grundfragen der Maschinenethik finden, dass uns in den Sinn kommen sollte, wenn wir an Digitalisierung (und auch speziell den Einsatz von KI) in Medizin und Pflege denken. So können etwa heute schon erfolgreich technische Unterstützungen im Alltag die Therapiezeit verlängern, und Menschen helfen, wenn der klassische Leistungskatalog des Gesundheitssystems endet.

Doch zurück zur „digitalen Pille“: Auch im Anschluss begeisterten mich die Autorin und die Autoren, so lieferten sie mit von fünf konkreten Beispielen chronischer Erkrankungen starke Argumente, wie erfolgreich die Digitalisierung und digitale Innovationen in Medizin und Pflege Medizinern und Patienten neue Möglichkeiten des Umgangs mit chronischen Erkrankungen und neue Formen der Behandlung dieser bringen.

Doch wo bleibt der kritische Blick? Dieser ist in der Tat nicht stark ausgeprägt. Doch die AutorInnen reklamieren auch nicht für ihr Werk, ein Grundlagenwerk über KI und Medizinethik vorgelegt zu haben. Das Buch möchte vielmehr einen optimistischen Blick auf die Zukunft werfen, Möglichkeiten und Perspektiven aufzeigen. Ich kann daher eine Empfehlung für das Buch aussprechen. Auch wenn ich die Kritik etwa durch den fachlich dem Themenkomplex sehr zugewandten Stephan Sahm in der FAZ nachvollziehen kann, der unter anderem anmerkt, das Buch gerate über einige Strecken in einen seichten Erklärungsmodus. Wer etwa die „Apotheken-Rundschau“ gelesen habe, könne also einige Kapitel – wie auch von den Autoren selbst angeraten – überspringen. Auch seine Kritik, im Buch werde der Digitalisierungsprozess der Medizin „derart euphorisiert, dass der kritische Blick leidet“, hat eine Berechtigung. Ach ich denke dem Buch hätte trotz des bewusst optimistischen Grundtenors ein ausführlicherer Teil über die Schattenseiten und Gefahren des „Projekts“ der Digitalisierung in der Medizin gutgetan. Dennoch, wer ethische Grundlagenschriften lesen möchte, der sei noch einmal auf Catrin Misselhorn verwiesen, die in ihrer weiten Betrachtung des Themenkomplexes KI und Ethik auch weit über Medizin und „Pflegeroboter“ hinausgeht. „Die digitale Pille“ jedenfalls zeigt Perspektiven auf. Sehr wohl wirtschaftsnah, teilweise sehr euphorisch und durch ein „Autorenteam aus Informations- und Pharmamanagern, Betriebswirten und einer Fachfrau für digitale Medizin“, wie Martin Mair bei Deutschlandfunk Kultur am 7. Juni rezensiert, aber dennoch: gut recherchiert, informativ und mit einer Portion erfrischendem Fortschrittsoptimismus.